UNSER BRASSERT

Unser Brassert – wie es entstanden ist

Zur Entstehung von Brassert müssen wir uns in den Anfang des letzten Jahrhunderts zurückversetzen. Marl ist ein einsames verschlafenes Heidedorf mit knapp 2000 Einwohnern. Die Gegend nördlich des Dorfes ist geprägt von landwirtschaftlich schlecht brauchbarem Sandboden, bewachsen mit Birken und Strauchwerk und einzelnen, verstreuten Kotten. Östlich davon, im zu Recklinghausen gehörenden Hüls, macht sich eine neue Zeche, Auguste Victoria, daran Kohle zu fördern. Einige der dort fleißigen Bergwerksbetreiber wollen auch in der Drewer Mark nach dem schwarzen Gold suchen und erstellen deshalb an verschiedenen Stellen sogenannte Mutungsbohrungen. Kurzum, sie werden fündig und bekommen vom Landesoberbergamt Dortmund die Erlaubnis, eine neue Zeche aufzubauen, was sie auch sofort tun.

Da das besagte Dorf Marl kaum die benötigten Arbeitskräfte stellen kann, wird kräftig im näheren und weiteren Umland und im ganzen Reich um diese geworben. Für die Neuankömmlinge muss man natürlich Wohnraum schaffen, und so werden mit dem Aufbau der neuen Zeche gleich nebenan Wohnsiedlungen geplant und gebaut. Weil man modern ist, werden diese Siedlungen nach einer aus England bekannten Idee als Gartenstadt konzipiert. Anders als bei vielen Siedlungen der schon älteren Zechen im Ruhrgebiet wird hier der Bau großer, vielgeschossiger Mietshäuser vermieden. Es entstehen fast ausschließlich Häuser mit zwei bis vier Wohnungen, die zudem noch ein oder zwei Zimmer für sogenannte Kostgänger haben. In Anbauten wird Platz geboten für Kleinviehhaltung, wie z.B. ein Schwein oder eine Ziege. Da man reichlich Grund und Boden erworben hat, können die Siedlungen so großzügig angelegt sein, dass zu jeder Wohnung ein Stück Gartenland zur Verfügung gestellt wird, wo man Gemüse selbst anbauen kann.

Das Gesamtbild ist geprägt von viel Grün und asymmetrisch angelegten Straßen und Plätzen. Es werden auch zur optischen Auflockerung viele unterschiedliche Haustypen verwirklicht, insgesamt knapp fünfzig. So ergibt sich ein aufgelockertes, zur damaligen Zeit modernes Bild. Die Lage hauptsächlich südlich und westlich der Zeche hat den Vorteil, dass bei Wind aus hier vorherrschender südwestlicher Richtung eine Belästigung durch Qualm, Staub und Dreck vom Zechengelände weitgehend vermieden wird. So entsteht ein völlig neuer Ortsteil, der irgendwann später den gleichen Namen erhält, wie die neue Zeche, nämlich Brassert.

Namensgeber ist der geheime Bergrat Hermann Brassert, der 1865 das allgemeine preußische Berggesetz verfasst hat. Der Siedlungsbau wird parallel zum Aufbau der Schachtanlage in mehreren Abschnitten betrieben, so dass zu Beginn des ersten Weltkrieges schon knapp eintausend Wohnungen für Arbeiter und gut sechzig Angestelltenwohnungen zur Verfügung stehen. Ab 1913 werden alle Häuser nach und nach auch mit elektrischem Licht ausgestattet. Erstellt werden die Siedlungshäuser zu Anfang mit zugekauften Steinen, nach Inbetriebnahme der zecheneigenen Ziegelei ab 1911 dann mit Steinen aus eigener Produktion. So entstehen nach und nach die heute bekannten Arbeitersiedlungen zwischen Brassertstraße, Bonifatiusstraße und Sickingmühlerstraße, Im Beisen und an der Ringstraße, Siedlungen an der Bogen- und Schachtstraße, sowie zwischen Schachtstraße und Winkelstraße. Es wird auch eine sogenannte Beamtensiedlung mit Häusern entlang der Brassertstraße und am Grünen Weg und Grünen Winkel errichtet. Unabhängig von der Zeche werden außerhalb der Siedlungen viele Geschäfts- und Wohnhäuser gebaut, z.B.an der Chaussee (heutige Brassertstraße).

Um die Bewohner ihrer Zechensiedlungen auch mit Dingen des täglichen Bedarfs ausreichend versorgt zu sehen, baut die Zeche in den ersten Bauabschnitten zwei Geschäfte, sogenannte Konsumanstalten. Die erste entsteht an der Brassertstraße in dem Haus, in dem auch später jahrelang der Konsum von Brassert beheimatet ist und sich heute die Hermann-Brassert-Apotheke befindet, die zweite an der Ecke Haardstraße / Sickingmühlerstraße. Beide Läden werden von der Zeche betrieben und haben keine Konkurrenz, denn sie sind die einzigen und die Zeche gestattet auch lange keine weitere Eröffnung irgendwelcher Geschäfte innerhalb ihrer Siedlungen. Auch ein Handel umherziehender Anbieter ist in den Zechensiedlungen durch Schilder an den Eingängen der Siedlungsstraßen unter Strafandrohung lange Jahre verboten. Diese Verbote werden aber mit der Zeit immer weniger befolgt.

Verkehrsmäßig besseren Anschluss bekommt der neue Ortsteil mit dem Bau und der Eröffnung der Straßenbahnverbindung nach Marl und damit nach Recklinghausen und Buer, so dass den angeworbenen Arbeitern mehr als nur die Kolonie Brassert geboten wird. Jahrelang endet diese Straßenbahnlinie auf der Brassertstraße direkt am Zechentor.

Nach dem zweiten Weltkrieg wird im Bereich der Plaggenbrauckstraße verstärkt Zechenwohnungsbau betrieben. Zusätzlich werden, wegen des großen Wohnungsmangels, durch die Stadt Marl und andere Wohnungsbaugesellschaften weitere Siedlungen in Brassert erstellt. Dieser Wohnungsbau steht nicht mehr in direkter Verbindung mit der Zeche, prägt dennoch das heutige Bild von Marl-Brassert.

Mit der Stilllegung der Zeche werden Überlegungen angestellt, die ganze alte Arbeitersiedlung abzureißen und dort neu zu bauen, weil der Wohnungsbestand wegen jahrelanger Vernachlässigung durch die jeweiligen Eigentümergesellschaften stark renovierungsbedürftig und nicht mehr zeitgemäß ist. Die Bewohner laufen gegen solche Planungen Sturm und letztendlich wird erreicht, dass die Häuser privatisiert werden. Die Mieter, die jetzt darin wohnen, können sie bevorzugt erwerben, was auch durchweg geschieht. So kommt es, dass man heute noch zumindest in Ansätzen den ursprünglichen Charakter der Gartenstadtsiedlung erkennen kann.

Unser Brassert ist also erst durch die Errichtung der gleichnamigen Zeche entstanden, hat diese aber überlebt und ist heute ein schöner und liebenswerter Stadtteil von Marl.

Text von Ludger Südhof

Über den Autor

Ludger Südhof

Wir bedanken uns bei Ludger Südhof, Historiker von unser-brassert.de, gelebt und aufgewachsen in Brassert, für die freundliche Unterstützung. Viele der Texte und Bilder unserer Geschichtsrubrik entstammen seiner jahrelangen Arbeit und Faszination für den Stadtteil Brassert.